Meine Erfahrungen während der Dissertation

An dieser Stelle könnte ich mit einem häufig verwendeten Zitat aus der Geschichte aus zwei Städten von Charles Dickens beginnen:

Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten,
es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit,
es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens,
es war die Saison des Lichts, es war die Saison der Dunkelheit,
es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung.

Charles Dickens: Eine Geschichte aus zwei Städten; 1859
Das Bild zeigt das Stadtzentrum von Jena.
Bild von Dr. Horst-Dieter Donat auf Pixabay

So abgedroschen, wie das klingt – und ist – so trifft es auch den Kern einer Doktorarbeit. Die Promotionszeit war eine der ambivalentesten Zeiten, die ich erlebt habe. Es ging von Phasen der Euphorie schlagartig in Phasen der Panik über und dem Gefühl, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein.

Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten

In Bezug auf die Freiheiten bei den Aufgaben und der Arbeit war es tatsächlich eine der besten aller Zeiten. Das Thema war so klar wie es unscharf formuliert war. Das Beste daran war, dass ich mir selbst einen Weg suchen musste. Natürlich waren ein paar Randbedingungen wie das Themengebiet oder die zentrale experimentelle Methode gegeben. Der genaue Weg, wie ich zu den Erkenntnissen komme, war jedoch komplett unklar. Das war auch das Spannendste an dieser Aufgabe.

Ein ständiger Begleiter in dieser Zeit war der Selbstzweifel, dieser Herausforderung nicht gewachsen zu sein und sie nicht zu meistern. Bei Dissertationen gab es noch nie jemanden, der die Antwort auf genau diese Frage gesucht und gefunden hat. Warum also sollte ich gerade derjenige sein, der es schafft?!

Es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit

Eine Dissertation soll neues Wissen produzieren. Für mich persönlich spiegelt das mit Zeitalter der Weisheit und der Dummheit gut den Verlauf meines gefühlten Verständnisses des Fachgebiets und des Themas wider. Am Anfang steht zunächst ein großer Berg von Literatur, den es zu bewältigen gilt. Das spannende daran ist es, sich selbst durch diesen Wust an Literatur zu arbeiten und die Sinnvolle und Hilfreiche von der Uninteressanten zu trennen.

Der Einstieg in diese Menge an Literatur kann durch Vorlesungen oder vorherige Abschlussarbeiten in diesem Gebiet vereinfacht werden. Meistens muss man jedoch neu anfangen. Diese Herausforderung, für sich neues Wissen zu finden, anzueignen und anzuwenden war für mich eine der spannendsten Aufgaben während der Dissertationszeit. Durch den Austausch mit Kollegen auf dem Fachgebiet, dem Besuch von Konferenzen oder dem Verfolgen einschlägiger Journale gab was immer neue Erkenntnisse zu entdecken, neue Methoden zu finden und die Erweiterung des eigenen Erkenntnishorizontes zu beobachten und voranzutreiben.

Das Ziel dieser intensiven Beschäftigung mit der Literatur war das Schließen von Wissenslücken. Diese bezogen sich dann auf die Grundlagen des Fachgebiets. Diese Wissenslücken beziehen sich auf die eigenen Wissenslücken. Das Schließen der Wissenslücken des Fachgebiets ist dann die Aufgabe der Dissertation. Bei Diskussionen auf ein fundiertes Wissen zurückgreifen zu können, und nicht andauernd alles nachschlagen zu müssen, war für mich die treibende Kraft.

Da mir das allerdings nicht immer gelungen ist, kam es immer mal wieder zu Diskussionen, in denen mir Wissen fehlte, und es auch offensichtlich wurde. Daher wurden manche Ideen als undurchführbar oder falsch (da die zu Grunde liegenden Annahmen dann doch falsch waren oder falsch interpretiert wurden) abgelehnt. Diese Situationen erzeigen dann sehr schnell ein Gefühl von Dummheit. Diese dann doch häufige Konfrontation mit dem eigenen Nichtwissen führte bei mir doch gerne auch mal zu Frust. Das gehört leider zu den Erfahrungen, durch die jeder Promovend gehen muss. Als Ermunterung sei gesagt: allen anderen ging es während ihrer Dissertation auch so. Auch sie mussten diese Erfahrungen machen, und können jetzt durch die längere Beschäftigung mit ihrem Fachgebiet natürlich auf einen größeren Wissensschatz zurückgreifen. Auch Ihr seid auf dem Weg dahin, Euch dieses Wissen anzueignen. Als Wissenschaftler ist nämlich genau das Eure eigentliche Aufgabe.

Es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung

An dieser Stelle springe ich etwas in dem Zitat. Ein gutes Beispiel, wie wahr diese Zeile des Zitats ist, sind meine Erfahrungen während des Schreibprozesses. Meine Arbeit habe ich tatsächlich im Herbst und Winter geschrieben. Und es war wirklich ein Winter der Verzweiflung. Eine Dissertation zu schreiben ist ein anstrengender und langwieriger Prozess. Ich habe ungefähr ein halbes Jahr dafür gebraucht. Von anderen Promovenden habe ich mitbekommen, dass sie ebenfalls so lange gebraucht haben. Ein Privatleben hatte ich in dieser Zeit nicht so wirklich. Unter der Woche habe ich die Vormittage gearbeitet und am Nachmittag bis in den Abend (oder auch mal die Nacht hinein) geschrieben. Am Wochenende war dann mal Zeit, um den ganzen Tag zu schreiben. Zeit für andere Aktivitäten blieb da kaum. Das ist eine anstrengende und kräfteraubende Zeit. Die Belohnung dafür kommt, wenn man abgegeben hat.

Im ersten Moment konnte ich das gar nicht richtig realisieren, da noch viele weitere Dinge zu erledigen und organisieren waren. Es stand ein Umzug an und ich musste mich bewerben, da der Vertrag an der Uni auslief. Und trotzdem war in dieser Zeit zunächst alles in Ordnung. Es war geschafft, die Arbeit war geschrieben, korrigiert, umgeschrieben, nochmal korrigiert, gedruckt und abgegeben. Das war ein Grund zum Feiern! Und das kann ich auch nur jedem empfehlen. Feiert die Abgabe Eurer Arbeit!

Die Verteidigung hat sich bei mir auf Grund von Corona etwas hinausgezögert, und konnte auch nicht so stattfinden, wie ich es mir ursprünglich erhofft hatte. Im Raum durften nur die Prüfungskommission und ich sein. Dafür hat mich meine Arbeitsgruppe vor dem Gebäude mit dem selbst gebastelten Doktorhut erwartet. Darüber habe ich mich sehr gefreut! Daher hier nochmal an Euch: vielen Dank für den Doktorhut. Er steht weiterhin bei mir, und ich freue mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich ihn sehe 😊

Was möchte ich eigentlich sagen?

Was möchte ich eigentlich sagen? Ich glaube, was ich sagen möchte, ist, dass die Promotionszeit eine der spannendsten und anstrengendsten Zeiten meines Lebens war. Ich habe viel gelernt; inhaltlich und noch viel mehr über mich selbst. Daher würde ich mich genau so, wieder entscheiden, wenn ich damals vor derselben Entscheidung stehen würde.

Wenn Ihr daher eines aus diesem Text mitnehmen solltet, so ist es das Folgende:

Während einer Dissertation gibt es bei den meisten Promovenden mindestens einen Zeitpunkt, an dem sie abbrechen wollen. Das ist völlig normal – und es gehört dazu. Diese eine Entscheidung an diesem einen Punkt bestimmt, wer es schafft und wer nicht. Natürlich gehört gute wissenschaftliche Arbeit ebenfalls dazu, ist aber nicht der entscheidende Faktor. Auf der persönlichen Ebene zeigt eine Dissertation darüber hinaus Durchhaltevermögen und den Umgang mit Rückschlägen. Wenn Gefühle wie Angst, Panik oder ähnliches auftreten, sucht Euch Unterstützung durch Betreuende, Kollegen, Freunde, Familie. Ihr seid nicht allein, anderen geht es genauso, es spricht nur keiner gerne darüber… Und am Ende: auch wenn nur ein Name auf einer Dissertation steht, so ist das doch immer ein Gemeinschaftsprojekt!

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